Deliyürek - Wild Heart

Kurzinfos
- Türkei 2000
- FSK (frei ab): 16
- Laufzeit: 121 min
- Regie: Osman Sinav
- Mit: Kenan Ýmirzalioglu, Melda Bekcan, Zara, Selcuk,
Meinungen und Kommentare zum Film
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Ein Geschäftsmann aus Istanbul und seine Geliebte geraten anlässlich einer Hochzeitsfeier im türkisch-kurdischen Grenzgebiet zu Iran, Irak und Syrien in
eine blutige Auseinandersetzung, die durch die Ermordung eines Freundes ausgelöst wird. Der Mann ruht nicht eher, als bis die Hintergründe des
Mordkomplotts geklärt sind. Ein solide inszenierter und populär besetzter Actionfilm mit folkloristischen Einlagen, der einige erhellende Schlaglichter auf die
Situation in der Türkei wirft, wobei viele Zusammenhänge für Nicht-Türken unverständlich bleiben.
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Laut Zeitungsberichten konnte man Anfang Dezember 2001 im türkischen Fernsehen die Entlarvung von korrupten Staatsbeamten in Ankara live miterleben -
mittels einer versteckten Kamera. Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass gerade jetzt der Film "Deliyürek" auch in Deutschland gestartet wird, ein
Hochglanz-Actionepos vor dem Hintergrund von Terror und Korruption rund um die kurdische Region des Landes. Ausschließlich für ein türkisches Publikum
produziert und beworben - was sehr schade ist - , baut der Film auf einer quotenträchtigen, in der Türkei extrem beliebten Fernsehserie auf. Mit Stars wie
der populären Sängerin Zara soll er laut Vertrieb den bislang erfolgreichsten türkischen Film des Jahres, nämlich "Vizontele" (fd 35 087) noch übertrumpfen.
Der Istanbuler Geschäftsmann Yusuf (gespielt von Kenan Imirzalioglu, ein Superstar bei seinen Landsleuten) und seine Geliebte Zeynep (Melda Bekcan)
fahren auf den staubigen Straßen des türkischen Hinterlandes in Richtung Diyarbakir zur Hochzeit von Yusufs altem Freund aus Armee-Zeiten, Cemal. Doch
was fröhlich und mit üppigem Feiern beginnt, endet blutig: Cemal wird erschossen, der Täter sofort von einem Verwandten hingerichtet. Die Verbindung zu
einem kürzlich ermordeten Sicherheitschef der Region, auch ein Freund von Yusuf, ist wahrscheinlich, doch Yusuf stößt auf das eherne Prinzip: "Wer den
Stock nicht hebt, der hat nichts zu befürchten." Klar, dass Yusuf beschließt, den Stock zu heben, und fortan stochert er mit Hilfe seines Ex-Kommandanten
der Armee Bozo (Selcuk Yöntem) in einem Wespennest aus politischen und kriegerischen Ränkespielen, wodurch er und Zeynep schnell in die Schusslinie
geraten. Ein so genanntes großes Spiel ist im Gange: Warlords, amerikanische Agenten und Stammesfürsten teilen sich die Vorherrschaft über das
traditionell kurdische Gebiet, das direkt an den Irak, den Iran und Syrien grenzt. Es stellt den Schauplatz für den Kampf der türkischen Regierung gegen die
PKK und die Hisbollah, die Versorgung des Nahen Ostens mit Kämpfern für den Dschihad, für den lukrativen Schmuggel, von dem auch Cemals Verwandte
leben. Ein rechtsfreier Raum tut sich auf wie weiland in Roman Polanskis "Chinatown" (fd 19 120), in dem nur die Interessen der Mächtigen gelten. Doch
Kurdistan bedeckt weite Teile von Iran und Irak, und überall in diesem Gebiet Mesopotamiens ist der Kampf so alt wie die Geschichte. Einst erschlug hier Kain
den Bruder Abel; und die moderne Form des Bruderkriegs, die Gewalt gegen die Kurden in einem türkischen Staat, der "seinem Volk nicht wohlwill", wird
offen von Yusuf beklagt. Deshalb ruht der Ex-Soldat nicht eher, bis er das Mordkomplott an Cemal aufgedeckt und dessen Tod gerächt hat.
Dieser solide inszenierte Actionfilm macht durchaus Spaß, wobei die Unübersichtlichkeit des Mafia- und Terror-Filzes im Plot überhaupt nicht stört. Rasante
Verfolgungsjagden und Schusssequenzen über den Dächern von Diyarbakir kommen ausgesprichen attraktiv daher. Doch als großes Ganzes scheint
"Deliyürek" eher etwas uneinheitlich und lang; die an Action orientierte Handlung will mit den steiferen Gesprächsszenen und den Rückblenden aus der
Armeezeit nicht recht zusammenwachsen. Die gehaltvollen Verweise auf die türkische Gesellschaft und ihre moralische Ordnung sind vielfältig, wenngleich
etwas verstörend: Yusuf und Zeynep, seit Jahren ein Paar der Istanbuler Moderne, nehmen im Hotel verschämt zwei Einzelzimmer. Auch scheinen Frauen in
jeder Lebenssituation auf ihren Mann warten zu müssen und möchten schließlich selbst sterben, sollte er von ihnen gehen. Das Ausharren lohnt vielleicht
nicht, sieht man doch Nähe und Freundschaft nur zwischen Männern, die wirkliches Verständnis und eine gemeinsame Vergangenheit verbindet. Die
Entfernung von Istanbul nach Ostanatolien ist weit - so groß wie der Gegensatz zwischen dem Heldenpärchen in Designer-Kleidung und der Tracht von
Cemals Clanmitgliedern. Einige folkloristische Einlagen mit schlitzohrigen Bauern und Geizhälsen ernten daher die größten Lacher im gesamten Film. Ein
atemberaubender, fast surrealer Moment entsteht während des Hochzeitsfestes: Die Stammesfürsten ballern vor lauter Freude ständig mit Pistolen in die
Luft, sodass der tödliche Schuss auf Cemal gar nicht gleich auffällt. Die flirrende karge Landschaft, die traditionsreiche Erde Ostanatoliens, spielt eine
besondere Rolle, die weit über die Bedeutung einer exotischen Filmlocation hinausgeht. Gleichzeitig Krisenherd und Herz der Türkei, sieht man sie in großen
Totalen; sogar zentrale Stadtszenen finden auf Dächern statt und lassen Panoramaansichten zu. In Momenten der Trauer hilft der Blick in die Landschaft -
dorthinaus singt Leyla, die Witwe Cemals, ihren Schmerz, das blutige Hemd des Getöteten noch Tage später in der Hand. In solchen Momenten wird der
Actioner zum großen Klageepos. Was zunächst für den Nicht-Türken fremd und folkloristisch anmutet, ist zumindest aus der Sache heraus verständlich. Es
ist nämlich fraglich, wann "das große Spiel" in Kurdistan wie auch anderswo ein Ende findet